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Der böse Jude

in Mensch.Land.Flucht 13.01.2019 17:47
von Peterbacsi • Admin | 3.590 Beiträge

Arthur J. Finkelstein erfand die perfide Kampagne gegen George Soros. Sein engster Mitarbeiter erzählt zum ersten Mal


Will man Finkelstein als Künstler verstehen, schuf er in Ungarn sein Meisterwerk, zusammen mit Birnbaum. Sie wurden in Ungarn zunächst für ein Jahr angeheuert, sagt Birnbaum. Offiziell für die Fidesz-nahe Századvég-Stiftung. Für die Wahl 2010 setzte man auf Finkelsteins Patentrezept, sich auf die Schwächen der Gegner einzuschiessen – und den eigenen Kandidaten aus dem Rampenlicht zu halten. Der Gegner, die regierenden Sozialdemokraten, wurde überrollt mit Attacken. Noch heute ist Birnbaum erstaunt, wie einfach das ging: «Wir hatten 2010 die Sozialdemokraten noch vor der Wahl vom Tisch gepustet.»


Neue Gegner sind schnell gefunden: Ungarn leidet damals unter der Finanzkrise und muss durch eine Geldspritze gerettet werden. Dies wiederum führt zu Spardiktaten der Kreditgeber – Weltbank, EU und Internationaler Währungsfonds. Also empfehlen die Amerikaner Orbán, «die Bürokraten» und das ausländische «Grosskapital» als Feind zu definieren. Es folgt ein massiver Rechtsruck zugunsten von Fidesz, Orbán gewinnt die Wahl mit Zweidrittelmehrheit.

«Du musst die Basis unter Strom halten. Ihr den Grund geben, wieder rauszugehen am nächsten Wahltag.»
George Birnbaum, Politberater

Birnbaum und Finkelstein, die fortan zu Orbáns engstem Zirkel gehörten, hatten nun ein Problem. Während sich der zufriedene Wahlsieger daranmachte, die Verfassung umzuschreiben, fehlte Finkelstein und Birnbaum erneut ein Gegner.

«Es gab keine Opposition mehr», sagt Birnbaum. Die ultrarechte Jobbik-Partei und die Sozialdemokraten waren abgeschlagen, der Rest nur Splittergruppen. «Wir hatten einen Amtsinhaber mit einer historischen Mehrheit, etwas, das es in Ungarn noch nie gegeben hatte.» Um das zu erhalten, habe man ein «hohes Energielevel» benötigt. «Du musst die Basis unter Strom halten. Ihr den Grund geben, wieder rauszugehen am nächsten Wahltag.» Man habe etwas Kraftvolles gebraucht, so wie heute Trumps «Build the Wall!».

Der perfekte Gegner

Finkelsteins Formel fordert, dass jede erfolgreiche Kampagne einen Gegner braucht. «Das beste Mittel, um die Truppen zusammenzutreiben», erklärt Birnbaum. «Arthur sagte immer, dass man nicht gegen die Nazis kämpfte, sondern gegen Hitler; nicht gegen al-Qaida, sondern gegen Osama Bin Laden.» Nur: Wer konnte nun in Ungarn dieser Gegner werden? Wo war der feuerspeiende Drache, den Orbán mithilfe des Volkes bekämpfen musste?

Viktor Orbán war dabei, eine alternative, dramatischere Erzählung seiner Nation zu zimmern. Eine treibende Kraft ist die mit Orbán befreundete Historikerin Mária Schmidt, die er noch während seiner ersten Regierungsperiode 2002 zur Leiterin der nationalen Gedenkstätte für die Opfer der Diktaturen gemacht hat. Eine kämpferische Frau, die zudem viel Geld geerbt hat. Sie stellt Ungarn, das mit Hitler paktiert hatte, als unschuldiges Opfer dar, umzingelt von Feinden, das standhaft und tapfer seine ureigene Identität wahrte. Für sie ist Ungarn eine Nation im ewigen Belagerungszustand. Erst die Osmanen, dann die Nazis, dann die Kommunisten. Ungarns Mission: Abwehr äusserer Einflüsse und Verteidigung des Christentums.

Vor diesem Hintergrund hat Arthur Finkelstein eine Eingebung. Es ist eine Kampagnenidee, so gross und so mephistophelisch, dass sie ihn selbst überleben wird.


Im Kern geht es um die Fortsetzung der Erzählung vom fremden «Grosskapital», das sich gegen das kleine Ungarn verschworen hat. Aber mit einer dramatischen Steigerung: Was, wenn sich plötzlich der Vorhang vor der Verschwörung des Kapitals lüftet und eine Figur hervortritt, die alles in der Hand hält. Jemand, der «das Grosskapital» nicht nur steuert, sondern verkörpert? Eine reale Person. Noch dazu eine in Ungarn geborene. Fremd und doch bekannt. Diese Person ist George Soros, sagt Finkelstein. Und Birnbaum erkannte sofort das Geniale an der Idee: «Soros war der perfekte Gegner.»

In diesem Moment wird das Monster George Soros geboren. Ein Multimilliardär, so mächtig und weltweit vernetzt, dass sich die ganze Nation hinter Orbán sammeln müsste, um ihn zu besiegen. Hier in Ungarn wird jene Hassfigur erschaffen, die bald Politiker aus aller Welt aufgreifen. Bis hinein in den deutschen Bundestag oder das Bundeshaus in Bern.

Es gibt eine lange Geschichte der Kritik an Soros. Sie reicht zurück bis ins Jahr 1992.

Vorderhand ist Finkelsteins Vorschlag abstrus. Eine Wahlkampagne gegen einen Nichtpolitiker. Einen Menschen, der nicht einmal in Ungarn lebt. Einen alten Mann, der im ganzen Land als Mäzen und Helfer bekannt ist. Der vor der Wende die Opposition gegen die Kommunisten unterstützt hat, danach Kindern Schulmahlzeiten spendierte, später mitten in Budapest eine der besten Universitäten Osteuropas aufgebaut hat.

Sogar Orbán hatte einst Geld von Soros erhalten: In seiner Oppositionszeit gab seine kleine Untergrundstiftung Századvég kritische Zeitschriften heraus, erstellt auf einer von Soros bezahlten Kopiermaschine. Orbán war auch einer der über 15'000 Stipendiaten der Open Society Foundations. Nur dank Soros konnte Orbán in Oxford Philosophie studieren. Ein einziges Mal sind sich die beiden begegnet: als Soros 2010 nach einer Flutkatastrophe nach Ungarn kam, um eine Million Dollar Nothilfe bereitzustellen.

Es gab wirklich keinen Grund, gegen ihn zu sein.

Ein Mittel zum Zweck

Finkelstein und Birnbaum aber sahen in George Soros etwas komplett anderes. Es gibt eine lange Geschichte der Kritik an Soros. Sie reicht zurück bis ins Jahr 1992, als Soros mit einem Währungsdeal über Nacht eine Milliarde Dollar verdiente – und sich den Ruf einhandelte, britische Bürger in die Armut getrieben zu haben. Für viele Linke war Soros eine Heuschrecke. Bis er seine plötzliche Bekanntheit nutzte, um überraschend linksliberale Ideen öffentlich zu machen. Er war für alles, wogegen die Rechte war: Klimaschutz, Umverteilung, die Clintons. Er opponierte gegen den Zweiten Irakkrieg 2003, verglich George W. Bush mit den Nazis, begann zum Grossspender der Demokraten zu werden. So machte er sich zum Feindbild der Republikaner.

Aber da war noch mehr. Finkelstein und Birnbaum hatten in genau jene Länder expandiert, in denen die Open-Society-Stiftungen besonders intensiv versuchte hatten, liberale lokale Eliten und Bürgerrechtsbewegungen aufzubauen: Ukraine, Rumänien, Tschechien, Mazedonien, Albanien. Birnbaum, der stille Rechte, lehnt Soros ab. Er findet, Soros stehe für «einen Sozialismus, der falsch ist für diese Gegenden». Finkelstein aber, sagt Birnbaum, habe das «völlig rational» gesehen: Soros als Gegner war nur ein Mittel zum Zweck.

«Niemand war wichtiger für Orbáns Politik als Finkelstein. Und nie hatte Finkelstein einen besseren Schüler.»
Ehemaliger ungarischer Fidesz-pollster

Um herauszufinden, ob der Name George Soros in Ungarn auch wirklich bekannt genug ist, testete man ihn in Telefonumfragen zusammen mit einer Reihe weiterer Namen möglicher Gegner, wie eine Person, die an diesen Umfragen beteiligt war, erzählt. Birnbaum selbst will das Polling im Fall von Soros nicht bestätigen.

Nun musste noch Orbán überzeugt werden. Birnbaum sagt, Finkelstein habe bei Orbán «enormes Vertrauen» genossen. Orbáns Sprecher haben es abgelehnt, dies zu kommentieren. «Niemand war wichtiger für Orbáns Politik als Finkelstein», sagt auch ein ehemaliger ungarischer Fidesz-pollster. «Und nie hatte Finkelstein einen besseren Schüler.»

Für Orbán war die Anti-Soros-Kampagne aussen- wie innenpolitisch sinnvoll. Aussenpolitisch würde sie dem russischen Nachbarn gefallen. Putin fürchtete sogenannte Farbenrevolutionen wie im arabischen Frühling oder der Ukraine und hatte begonnen, gegen Soros und dessen Förderung liberaler Kräfte vorzugehen. Ein gemeinsamer Feind verbindet. Innenpolitisch passte die Kampagne Mária Schmidt, die überzeugt war, Soros stecke hinter der Kritik der US-Demokraten an ihrem revisionistischen Heimatmärchen. Sie habe es in der Comedyshow «Saturday Night Live» gesehen, erzählte Schmidt kürzlich einer amerikanischen Journalistin allen Ernstes. Im Jahr 2008 sei ein Soros-Darsteller aufgetreten, tituliert als «George Soros, Eigentümer der Demokratischen Partei». Und dem habe Soros nie widersprochen. Somit war der Fall für Schmidt klar.

Der erste Schuss

Dass Finkelstein und Birnbaum für Orbán arbeiteten, ist immer wieder diskutiert worden. In Ungarn ist Finkelstein beinahe eine mythische Figur. Orbán allerdings hat sich nie klar über dessen Rolle geäussert, seine Sprecher verweigern auf Nachfrage darauf eine Antwort. Birnbaum ist der erste Beteiligte, der nun mit dem «Magazin» darüber spricht. Dennoch lässt er viele Fragen unbeantwortet. So will er sich nicht an die Details der Zusammenarbeit erinnern, ob man auch Slogans oder nur Leitideen schuf, wie weit man die Kampagne selbst steuerte.

Allerdings konnte jeder sehen, was in den Jahren danach in Ungarn passierte. Und was weltweit daraus folgte. Eigentlich musste die Kampagne nur alle Argumente und Massnahmen gegen Soros aus Ost und aus West, von links und rechts, zusammenführen. Neu war einfach, dass man Soros zum Wahlkampfgegner machte.

Der erste Schuss erfolgt am 14. August 2013, knapp neun Monate vor der nächsten Wahl. Ein Artikel in der regierungsnahen Zeitung «Heti Valasz» attackiert angeblich von Soros gesteuerte NGOs. Erstmals wird das Bild einer von Soros orchestrierten Verschwörung gegen Ungarn in der Öffentlichkeit gezeichnet. Als Nächstes folgt ein Kampf des ungarischen Staatsapparats gegen die angeblich von Soros kontrollierte Umweltorganisation Ökotárs, die neben norwegischen auch Schweizer Entwicklungsgelder der DEZA erhielt. Die Polizei stürmt die Büros der angeblichen Soros-Lakaien, konfisziert Computer. Monatelange Prozesse und Untersuchungen gegen Ökotárs werden eingeleitet. Schweizer Gelder werden blockiert. Auch wenn die ungarischen Ermittler am Schluss nichts finden – das Bild der gefährlich verflochtenen NGO-Seilschaften ist konstruiert.

2015 taucht erstmals Soros’ Hilfe für Migranten als Teil einer grossen Verschwörung auf.

In diese Zeit fallen der Syrienkrieg und der enorme Anstieg Hilfe suchender Menschen in der EU, die sogenannte Flüchtlingskrise. Während Finkelstein schon früh daraus eine Kampagne gegen Flüchtlinge entwirft, veröffentlicht Soros im Herbst 2015 einen Essay, in dem er einen «gemeinschaftlichen Plan» der EU im Umgang mit den Flüchtlingen fordert. Er sagt, die EU müsse sich «in absehbarer Zeit auf eine Million Flüchtlinge pro Jahr einstellen». Ein gefundenes Fressen für Orbán.

Nur Tage nachdem die ungarische Regierung die Schlacht gegen Ökotárs aufgeben muss, hält Viktor Orbán eine Rede. Er sagt, George Soros sei «der Stellvertreter» jenes westlichen Gedankengutes, das «den Nationalstaat schwächen» und mit Flüchtlingen fluten wolle. Erstmals taucht hier Soros’ Hilfe für Migranten als Teil einer grossen Verschwörung auf.

Es ist ein raffiniertes Pingpong aus aufsehenerregenden «Enthüllungs»-Artikeln und offiziellen «Reaktionen» von Regierungsvertretern.

Ab Ende 2015 folgen die Attacken in immer kürzeren Abständen. Jede Organisation, die je Geld von den Open Society Foundations erhalten hat, wird als «von Soros gesteuert» dargestellt. Mitarbeiter der NGOs werden letzten Endes als vom Ausland finanzierte «Söldner» bezeichnet.

All das erfolgt durch ein raffiniertes Pingpong aus aufsehenerregenden «Enthüllungs»-Artikeln und offiziellen «Reaktionen» von Regierungsvertretern. Die Schmierenkampagne wird immer hemmungsloser: Ungarn kopiert Putins Schritt, einer von Soros in Petersburg mitfinanzierten Universität die Lizenz zu entziehen. Im Februar 2017 beginnen die Attacken gegen Soros’ Central European University, die vom Kanadier Michael Ignatieff geleitet wird. Der angesehene Historiker war einst in seiner Heimat als Politiker gegen die Konservative Partei angetreten – für die Finkelstein arbeitete.

Inbegriff des Bösen

Der vorläufige Höhepunkt der Kampagne gegen Soros ist im Juli 2017 erreicht, als das Land mit Postern zugepflastert wird, die sein Gesicht zeigen, darunter den Satz: «Lass nicht zu, dass Soros zuletzt lacht!» Der Slogan «Stop Soros» wird ständig wiederholt, Fotomontagen zeigen Soros Arm in Arm mit angeblichen Verbündeten, die einen aufgeschnittenen Zaun passieren: Orbáns Grenzzaun gegen Flüchtlinge. Orbán behauptet, Soros unterhalte ein Mafia-Netzwerk. Im Herbst 2017 führt die Regierung eine «nationale Konsultation» durch. An Millionen Bürger werden Fragebogen versandt. Sie können ankreuzen, ob sie den «Soros-Plan», jährlich eine Million Menschen aus Afrika oder Nahost in Europa anzusiedeln, unterstützen oder nicht.

Rund 3,6 Millionen Dollar gaben die Open-Society-Stiftungen 2016 in Ungarn aus. Über das Zehnfache, gut 40 Millionen Euro, kostete die Anti-Soros-Kampagne 2017. Sie zeigte Wirkung. Soros’ Beliebtheit sank. Ein ganzes Land wandte sich gegen den Mann. Soros wurde zum Inbegriff des Bösen.

Soros selber sass in der Falle. «Je mehr er zurückgeschlagen hätte, desto mehr hätte er ja unsere Behauptung gestützt, er mische sich in die Politik ein», sagt Birnbaum. Als Kandidat gegen Orbán anzutreten, war ebenfalls undenkbar für den damals 87-Jährigen. «Mr. Soros ist kein Politiker», sagt sein Berater Michael Vachon. Soros war schachmatt.

In ihm hatte Arthur Finkelstein seinen idealen Gegner gefunden. «Mr. Liberal», wie er ihn sich immer gewünscht hatte. Die Verkörperung aller Widersprüche, die Konservative an wirtschaftlich erfolgreichen Linken so hassen: ein Finanzmarktspekulant, der gleichzeitig einen milderen Kapitalismus forderte. Und am allerbesten: Dieser Wahlkampfgegner war weder in der Politik noch überhaupt im Land. «Der perfekte Gegner ist einer, den du wieder und wieder schlägst und der nie zurück schlägt», sagt Birnbaum. Noch heute kann er dafür schwärmen. «Es lag so dermassen auf der Hand. Es war das einfachste aller Produkte. Man musste es nur noch verpacken und vermarkten.»

Das «Produkt» von Finkelstein vermarktete sich von allein und wanderte um die Welt.

Das «Produkt» war so gut, es vermarktete sich von allein und wanderte um die Welt. 2017 fabulierte man in Italien von Soros-finanzierten Flüchtlingsbooten. 2018 wurde in den USA gemutmasst, Soros stehe hinter der «Karawane» von Migranten in Mexiko. In Italien beschimpfte Matteo Salvini seine Gegner als von Soros bezahlt, im EU-Parlament Nigel Farage und in Deutschland Stephan Brandner und Jörg Meuthen von der AfD.

Von Kolumbien über Israel nach Kenia und Australien tauchen Anti-Soros-Argumente auf. Ein polnischer Parlamentarier nannte Soros den «gefährlichsten Menschen der Welt». Putin erwähnte ihn missbilligend während seiner Pressekonferenz mit Trump in Helsinki. Trump wiederum packte Soros Ende 2016 in seinen finalen Werbespot. Und zuletzt behauptete er, die Demonstrationen gegen seinen Kandidaten für den Obersten Gerichtshof, Brett Kavanaugh, seien von Soros gesponsert.

Ungarn funktioniert als Brückenkopf in einem rhetorischen Teamwork zwischen Trump und Putin. In Österreich tauchte der Name Soros im Kontext einer Wahl im Zug der «Silberstein-Affäre» auf. Später flog auf, dass man unter anderem gefälschte Facebook-Accounts eingesetzt hatte, die Soros’ «Plan» erwähnten. Mit im Kampagnenteam: Birnbaum und Finkelstein.

Die Wiederkehr des bösen Juden

Birnbaum wehrt sich gegen die Vermutung, ausserhalb Ungarns weitere Anti-Soros-Kampagnen geführt zu haben. Aber vielleicht brauchte es das auch gar nicht. Er und Finkelstein hatten in Ungarn das kraftvollste Feindbild der rechten Bewegung der jüngeren Zeit erschaffen – perfektes Material für das Internet. Einerseits griffen rechte Digitalmedien wie «Breitbart» und «Russia Today» die ungarische Kampagne auf, übersetzten sie in andere Sprachen und fütterten sie mit Argumenten. Andererseits gibt es die Social Networks, über die sich der böse Soros als Meme verselbstständigte.

Wenn rechte Bewegungen heute Wahlkampf machen wollen, dann können sie einfach Soros-Material aus dem Netz fischen. Anti-Soros ist eine globalisierte, frei verfügbare und anpassungsfähige Open-Source-Waffe. Birnbaum nennt sie «den gemeinsamen Nenner der nationalistischen Bewegung». Nicht zufällig rief Steve Bannon zum Kampf gegen Soros auf, als er in den EU-Wahlkampf einsteigen wollte.

Zwei jüdische Politberater machen einen Juden zum Ziel einer Kampagne mit antisemitischen Zügen.

An dieser Stelle muss man noch einmal auf einen ebenso wichtigen wie sonderbaren Aspekt dieser Geschichte zu sprechen kommen: Zwei jüdische Politberater machen einen Juden zum Ziel einer Kampagne mit antisemitischen Zügen.

Was Finkelstein und Birnbaum gebaut haben, knüpft nahtlos an eines der ältesten antisemitischen Sujets der westlichen Geschichte an: der böse, geldgierige Jude, der die Welt beherrschen will. Selbst wenn Orbáns Kampagne das Wort Jude nie benutzte: Orbán sagte, man kämpfe gegen einen «Feind», der «anders» sei, «heimatlos» – und die Welt besitzen wolle. Logisch, dass daraufhin Judensterne auf die Soros-Plakate gekritzelt wurden – die Wähler vollendeten die Kampagne. Wer heute im Internet nach Soros sucht, stösst sofort auf Montagen: Soros’ Kopf auf den Tentakeln einer Krake, ein klassisches judenfeindliches Motiv.

2017 begann in Ungarn die jüdische Gemeinde zu protestieren, auch der israelische Botschafter schaltete sich ein. Als Zoltán Radnóti, ein bekannter ungarischer Rabbiner erfuhr, dass die Kampagne von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde geleitet wurde, zeigte er sich öffentlich schockiert. Die jüdische Welt ist gespalten, ob die Kampagne antisemitisch ist. Einmal, erinnert sich Birnbaum, habe ihn in den USA ein Mitglied der Anti-Defamation League zur Seite genommen und darauf angesprochen. Die Organisation beobachtet seit Jahren einen Anstieg des Judenhasses im Netz und hat in einer Studie der Hetze gegen Soros ein eigenes Kapitel gewidmet.

«Es sieht rückblickend vielleicht verrückt aus, was wir gemacht haben, aber aus damaliger Sicht war es richtig.»
George Birnbaum, Politberater

Birnbaum, der den Sabbat respektiert und in zahlreichen israelischen Vereinen organisiert ist, empört diese Frage. Bei der Kampagne habe es sich um ein «rein ideologisches» Projekt gehandelt, sagt er. Soros stand für alles, wogegen Orbán war. «Als wir die Kampagne planten, dachten wir keine Sekunde daran, dass Soros Jude ist.» Er selbst habe es damals nicht einmal gewusst. Er arbeite nie mit Antisemiten. Noch vor dem Beginn der Zusammenarbeit mit Orbán habe er sich in Israel in informierten Kreisen erkundigt, wie Orbán zu den Juden stehe. Nichts Verdächtiges habe er gehört. Im Gegenteil, Orbán verfolge Antisemitismus konsequent. Seiner ersten Tochter gab er den jüdischen Namen Ráhel. Und ausserdem: «Darf ich jemanden nicht angreifen, weil er Jude ist?»

Man muss einwenden, dass die beiden Campaigner den Namen Soros damals seit Jahrzehnten kannten und Finkelstein bereits in den 1980ern in einen Skandal verwickelt war, als er antisemitische Einstellungen der Wähler eines Kandidaten untersucht und instrumentalisiert hatte. Diesmal sind die Folgen härter. Die Kampagne hat die Welt verändert. Aus Worten wurde Wirklichkeit.

In den USA erhält Soros von einem Trump-Anhänger Ende Oktober eine Briefbombe. Fünf Tage später stürmt ein Bewaffneter eine Synagoge in Pittsburgh und ermordet elf Menschen. Er sah sich im Kampf gegen eine jüdische Verschwörung. Auf seinem Social-Media-Account sprach er von der «Soros-Karawane». Mit diesen Fakten konfrontiert, klingt Birnbaum bedrückt: «Es sieht rückblickend vielleicht verrückt aus, was wir gemacht haben, aber aus damaliger Sicht war es richtig.»

Nur ein neues Opfer

Sechs Monate nach dem Treffen in Berlin lädt Birnbaum in die Lounge des Trump Hotels in Washington DC. Ein Freund hat eine Vernissage: Corey Lewandowski stellt sein Trump-Buch vor. Die Präsidenten-Beraterin Kellyanne Conway schaut vorbei, es wird Kaviar verkauft, 100 Dollar die Unze. Es läuft Tanzmusik, die Bedienungen sind fast alle dunkelhäutig, die Gäste fast alle weiss. Birnbaum plaudert mit Besuchern der geschlossenen Veranstaltung und bestellt Moscow Mule.

Hat er seine Meinung über die Soros-Kampagne geändert? «Antisemitismus ist etwas Ewiges, Unauslöschliches», antwortet er nur. «Unsere Kampagne hat keinen zum Antisemiten gemacht, der es nicht schon vorher war. Vielleicht hat sie ein neues Opfer gezeigt. Mehr nicht. Ich würde es noch mal genauso machen.»

«Ich wollte die Welt ändern. Das habe ich getan. Ich habe sie schlechter gemacht.»
Arthur Finkelstein, Politberater

Im Dezember musste Ignatieff den Umzug der Universität von Budapest nach Wien verkünden. Die Open Society Foundation verlegte ihren Hauptsitz nach Berlin. Orbán wiederum ist dabei, sein Medienimperium auszuweiten. Zu Hause, aber auch in anderen Ländern. Er hat grosse Pläne. Im Mai ist Europawahl. Ungarn wurde für Rechte weltweit ein Vorbild. Und Orbán habe eine neue Regierungsform, erklärt ein Fidesz-Insider. Jeder von Orbáns Schritten werde vorher «gepollt». Politiker müssten nicht mehr Visionen formulieren, sondern abbilden, was das Volk gerade bewegt. Orbán nennt es «einen illiberalen Staat».


Arthur Finkelstein starb im August 2017. Ungarn war sein finales Projekt. 2011, in einer seiner letzten öffentlichen Reden, sagte er:
"Ich wollte die Welt ändern.
Das habe ich getan. Ich habe sie schlechter gemacht."

Ouelle
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Liebe Grüße
Peter
zuletzt bearbeitet 13.01.2019 18:01 | nach oben springen



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