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Albtraum Wadenkrampf

in Fitness und Freizeit 19.10.2019 19:15
von Peterbacsi • Admin | 3.590 Beiträge

Interview Bis zu 40 Prozent der Menschen leiden von Zeit zu Zeit unter den nächtlichen Attacken. Ein gutes Mittel dagegen gibt es bislang nicht. Warum Experten den Sinn von Magnesium-Einnahmen anzweifeln

Professor Topka, nächtliche Wadenkrämpfe kennen kein Erbarmen: Man liegt im Bett, tut eigentlich nichts Schlimmes – und dann fährt einem der Schmerz in die Wade. Was passiert da eigentlich?

Helge Topka: Das weiß man noch nicht genau. Ein Muskelkrampf entsteht durch eine Übererregbarkeit der Verbindungsstelle vom Nerv zum Muskel. Dort, an den Enden der motorischen Nerven, findet die Reizübertragung statt. Und Nervenimpulse führen zu Muskelkontraktionen. Kommt es zu unkontrollierten Entladungen, verkrampfen sich die Muskeln oder sie reagieren überempfindlich auf normale Reize. Das heißt, der Muskel ist nicht der Täter, sondern das Opfer.



Topka: Aktuelle Untersuchungen, die eine Zunahme der Häufigkeit belegen, gibt es nicht. Trotzdem gibt es einige aussagekräftige Daten. So kann man sagen, dass 75 Prozent aller Erwachsenen mindestens einmal im Leben einen Muskelkrampf haben. Bis zu 40 Prozent ansonsten gesunder Menschen leiden unter nächtlichen Krämpfen. Und: Diese Beschwerden nehmen im Laufe des Lebens deutlich zu. Bei über 65-Jährigen haben über 50 Prozent immer wieder mit Krämpfen zu tun. Dass das Phänomen aber insgesamt zunimmt, ist eher unwahrscheinlich.

Warum sind bei Krämpfen meist Waden oder Fußsohlen betroffen?

Topka: Auch da gibt es bislang keine richtig gute Erklärung. Es ist aber so, dass an typischen Muskelkrämpfen, über die wir hier sprechen, weder Gehirn noch Rückenmark beteiligt sind. Es ist das periphere Nervensystem – also jene Nerven, die die Verbindung von Rückenmark und Muskel herstellen – betroffen. Wir wissen zudem, dass Nerven umso stärker betroffen sind, je länger sie sind. Dabei sind dann natürlich die langen Beinnerven wesentlich empfindlicher als die Armnerven. Patienten mit ausgeprägten Krämpfen haben das aber auch an den Händen.

Warum krampfen Muskeln meist nachts?

Topka: Das ist nun noch gar nicht untersucht.

Helfen Dehnübungen oder Magnesium?

Topka: Dehnübungen sind in leichten Fällen sicherlich eine Möglichkeit, den Muskel akut zu entkrampfen. Sie helfen leider aber nicht bei der Vorbeugung. Magnesium dagegen ist aus medizinischer Sicht bis auf wenige Ausnahmen fast aus dem Rennen.

Wie bitte? Jeder Arzt, den ich kenne, verschreibt einem bei Wadenkrämpfen auch Magnesium.

Topka: Ich weiß. Aber bis auf eine kleinere Gruppe von Patienten, nämlich Schwangere mit Krämpfen, gibt es keinerlei überzeugende Belege, dass Magnesium wirksam ist. Bei Sportlern, deren Muskeln krampfen, scheint etwa der Natriumverlust eine größere Rolle zu spielen. Natrium verlieren wir übers Schwitzen. Natrium ist wesentlich wichtiger als Magnesium. In solchen Fällen können geringe Salzbeimischungen für Getränke helfen.

Wie sollte man Muskelkrämpfe behandeln?

Topka: Wenn man ganz ehrlich ist, haben wir nicht allzu viel im Köcher. Wir wissen aus früheren Studien, dass chininhaltige Präparate vor allem bei nächtlichen Muskelkrämpfen helfen können. Doch diese Präparate haben keinen guten Ruf mehr, weil sie Herzrhythmusstörungen begünstigen und das Blutbild verändern können. Die amerikanischen Zulassungsbehörden haben den Einsatz dieser Medikamente drastisch eingeschränkt. Mittlerweile sind sie auch in Deutschland nur noch als verschreibungspflichtiges Arzneimittel erhältlich. Wer nur gelegentlich einen Krampf hat, sollte am besten Dehnübungen machen. Wer an permanenten, schweren Krämpfen leidet, sollte unbedingt sorgfältig untersucht werden.

Können Muskelkrämpfe also auch Symptom für andere, schwerwiegende Krankheiten sein?

Topka: Da kann ich gleich 30 Erkrankungen nennen. Das können sehr unterschiedliche neurologische und auch internistische Erkrankungen sein. Von Muskelerkrankungen bis Morbus Parkinson. Viele Medikamente können ebenfalls Krämpfe auslösen. Das sind etwa Schilddrüsenmedikamente bis hin zu Blutdrucksenkern wie Beta-Blocker oder Migränemitteln.

An welchen Arzt sollen sich Patienten mit regelmäßigen Krampfbeschwerden wenden?

Topka: Zunächst sollte man den Hausarzt aufsuchen, der den Patienten ja meist am besten kennt und sowohl über Vorerkrankungen als auch dessen Medikamente Bescheid weiß. Wenn der Hausarzt nichts findet, wäre der nächste Gang zum Neurologen, der vielleicht auch mit speziellen Messungen den Beschwerden auf die Spur kommen kann.

Welche Nervenerkrankungen können Krämpfe verursachen?

Topka: Zum Beispiel Polyneuropathien – also Nervenerkrankungen, die am ehesten die Beinnerven betreffen. Eine der häufigsten Ursachen dafür ist Diabetes. Aber auch übermäßiger Alkoholkonsum löst Polyneuropathien aus. Schäden an der (Lenden-)Wirbelsäule mit Beteiligung der Nervenwurzeln können ebenfalls eine Ursache sein.

Wie ist denn der Stand der Forschung? Kommt bald ein Medikament auf den Markt, mit dem man Krämpfe wirksam bekämpfen kann?

Topka: Was Polyneuropathien angeht, kann man davon ausgehen, dass wir etwa bei der Hälfte der Neuropathien eine Ursache nachweisen können und davon ist wiederum die Hälfte behandelbar. Was die Therapie der Symptome angeht, sind neue Entwicklungen aktuell aber sehr rar. Größere Studien zu Magnesium sind kaum zu erwarten. Zum einen stehen eine ganze Reihe von Daten ja bereits zur Verfügung. Zum anderen sind Substanzen, die nicht dem Patentschutz unterliegen, für die pharmazeutische Industrie kein interessantes Ziel für die wissenschaftliche Weiterentwicklung. Die rasche Einführung neuer Medikamente ist daher im Moment nicht zu erwarten. Das könnte sich aber sehr schnell ändern, wenn der Mechanismus der Entstehung von Muskelkrämpfen genau verstanden wird. In Anbetracht der großen Zahl der Betroffenen werden dann sicher große Anstrengungen unternommen werden, neue Erkenntnisse in wirksame therapeutische Optionen umzusetzen. Interview: Josef Karg


Liebe Grüße
Peter
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