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So ohnmächtig ist die EU

in Ausland und EU 11.12.2019 17:41
von Peterbacsi • Admin | 3.590 Beiträge

Ungarn Brüssel will mehr Rechtsstaatlichkeit erzwingen. Budapest tut genau das Gegenteil

Brüssel Bis zum Morgen hatten einige EU-Mitgliedstaaten noch gehofft, dass dieser Dienstag vielleicht doch so etwas wie Entspannung im Verhältnis zu Ungarn bringen würde. Aber es wurde ein Tag, an dem der Krach um den rechtsstaatlichen Kurs der Budapester Regierung eskalierte. „Wir sehen die derzeitige Lage mit Sorge“, formulierte der deutsche Europastaatsminister Michael Roth (SPD) eher zurückhaltend, als er am Vormittag zum Treffen mit seinen 27 Amtskollegen in Brüssel eintraf. Statt Fortschritte in die richtige Richtung gebe es Gesetzesinitiativen, die eher auf zusätzliche Rückschritte hindeuteten, erklärte er.

Das Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages beinhaltet mehrmalige Befragungen, ehe über einen Entzug der Stimmrechte oder von Fördergeldern einstimmig entschieden wird.

Es blieb nicht friedlich. Ungarns Justizministerin Judit Varga warf den Amtskollegen „falsche Anschuldigungen“ vor. Regierungssprecher Zoltán Kovács nannte das gesamte Verfahren von Budapest aus „lächerlich“ und attackierte die Europäische Union mit den Worten: „Seit wann haben andere EU-Mitgliedstaaten das Recht, die Rolle einer oberen Kammer des ungarischen Parlaments einzunehmen?“

Am Vormittag verabschiedete die Regierungsmehrheit in der ungarischen Volksvertretung sogar noch neue Bestimmungen, die die Rechte und Freiheiten von Oppositionsabgeordneten einschränken. Künftig dürfen sich zwei oder drei kleinere Fraktionen im Parlament nicht mehr zu einer neuen und stärkeren Fraktion zusammentun. Parteilosen Volksvertretern ist es untersagt, sich einer Fraktion anzuschließen oder mit anderen Parlamentariern ohne Parteizugehörigkeit eine Fraktion zu bilden. Und wer in den Parlamentssitzungen stört oder Transparente zeigt, muss mit einem Ausschluss von den Beratungen für 60 Tage plus Entzug der Diäten für bis zu sechs Monate rechnen. Die Entscheidung liegt in den Händen von Parlamentspräsident László Kövér, einem eingefleischten Anhänger von Premierminister Viktor Orbán. „Eine Provokation“, nannte ein ranghoher Kommissionsvertreter am Rande des Ministerrats diesen Beschluss, der zeitgleich zur Befragung Ungarns zu seiner Rechtsstaatlichkeit in Brüssel fiel.

Die Vorgänge sind auch deswegen überraschend, weil sich Orbán sowie die Ministerpräsidenten Polens, Tschechiens und der Slowakei von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen etwas nachsichtigeren Kurs versprochen hatten. Die neue Chefin der obersten EU-Behörde hatte mit der Tschechin Vera Jourová eine konsequente Befürworterin der Rechtsstaatlichkeit zur verantwortlichen Kommissarin ernannt. Und die betonte gestern: „Meine Botschaft wird klar sein: Die Rechtsstaatlichkeit ist unser Fundament und kann nie gefährdet werden.“ Und: „Die von der Kommission eingeleiteten Prozesse werden fortgesetzt.“ Soll heißen: Das Artikel-7-Verfahren wird durchgezogen.

Das klingt allerdings kraftvoller, als es ist. Denn längst ist klar, dass dieses Instrument wirkungslos bleiben dürfte. „Das Verfahren ist tot“, sagte der FDP-Europaabgeordnete und innenpolitische Experte seiner Fraktion, Moritz Körner, am Dienstag gegenüber unserer Redaktion. „Der Zwang zur Einstimmigkeit blockiert jede Sanktion gegen einen beschuldigten Staat.“ Tatsächlich haben Polen und Tschechien bereits angekündigt, einer Bestrafung Ungarns nicht zuzustimmen. Dafür würde sich Ungarn wiederum mit einem Veto revanchieren, sollte es zu ähnlichen Verfahren gegen Warschau oder Prag kommen. Die EU ist somit ohnmächtig.


Liebe Grüße
Peter
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