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#1

So hat Viktor Orbán Ungarn in zehn Jahren verändert

in bulletin board: Nachrichten des Tages 29.05.2020 18:14
von Peterbacsi • Admin | 3.590 Beiträge

Am Fall des Eisernen Vorhangs hatte Ungarn maßgeblichen Anteil. Und dort auch ein junger Studentenführer namens Viktor Orbán. Der ist mittlerweile bekanntlich Bild entfernt (keine Rechte)Ministerpräsident des Landes, mit dem man gerne Paprika, Piroschka oder die niedlichen Puppen in Volkstracht wie auf unserem Bild aus einem Souvenirshop in Budapest verbindet. Doch niedlich ist es in Ungarn schon länger nicht mehr, genau genommen seit zehn Jahren, in denen jener Viktor Orbán das System immer mehr in eine Art Puppen-Demokratie umbaute. Zuletzt regierte der immer weiter nach rechts gerückte Politiker gar mithilfe von Notstandsdekreten. Doch wie konnte es so weit kommen? Und was hat den Mann, der einst für die Freiheit stritt, so sehr verändert? Die Puppendemokratie
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Liebe Grüße
Peter
zuletzt bearbeitet 29.05.2020 18:16 | nach oben springen

#2

RE: So hat Viktor Orbán Ungarn in zehn Jahren verändert

in bulletin board: Nachrichten des Tages 29.05.2020 18:24
von Peterbacsi • Admin | 3.590 Beiträge

Auf der dunklen Seite der Macht
Politik Seit zehn Jahren regiert Viktor Orbán in Ungarn. Der Freiheitskämpfer von 1989 hat das Land umgepflügt und lässt seither keine Gelegenheit aus, die Demokratie zu demontieren. Warum das seiner Beliebtheit aber nicht schadet



Budapest

Am Ende landet man bei Viktor Orbán immer am Anfang. Es ist der 16. Juni 1989, als er auf dem Budapester Heldenplatz vor eine Batterie aus Mikrofonen tritt. Offenes Hemd, Dreitagebart, Spickzettel in der Hand. Gerade ist er 26 Jahre alt geworden. Ein Studentenführer vor seiner ersten großen Rede. Hunderttausende haben sich im Herzen der Hauptstadt versammelt. Der Rest der Nation sieht am Fernseher zu. Denn an diesem Tag soll der Leichnam von Imre Nagy umgebettet werden. Nach dem Volksaufstand von 1956 war der Reformkommunist hingerichtet und in einem Massengrab verscharrt worden. Aber 1989 weht der Wind des Wandels durch Osteuropa. In Budapest wollen die Sozialisten ein Zeichen der Verständigung setzen. Die Opposition zieht mit. Doch dann kommt Orbán.

„Wenn wir an unsere Stärke glauben, können wir der Diktatur ein Ende bereiten“, ruft er und fordert den sofortigen Abzug der Sowjetarmee. Das ist so nicht abgesprochen. Aber dem jungen Orbán ist das egal. „Wenn wir genug Mut haben, können wir die Revolution vollenden.“

Stärke, Mut, Revolution. Das sind von Anfang an Schlüsselbegriffe im politischen Denken von Viktor Orbán. Und dieses Denken drängt zur Tat. 1998 wird der Chef des damals noch liberalkonservativen „Bundes Junger Demokraten“ (Fidesz) mit 35 Jahren der jüngste Ministerpräsident in der Geschichte Ungarns. Aber er scheitert, an seiner Unerfahrenheit und mehr noch an den verkrusteten postkommunistischen Machtstrukturen.

Zu Beginn des neuen Jahrtausends kehrt Orbán auf die Straße zurück. Er agitiert. Mobilisiert. Rückt weiter nach rechts. Und gewinnt die Parlamentswahl 2010 haushoch. Die Sozialisten gehen in einem Sumpf aus Korruption und Lügen unter. Vor zehn Jahren schließlich, am 29. Mai 2010, wird Orbán zum zweiten Mal als Ministerpräsident vereidigt, und es ist dieses Datum, das eine Ära begründet.

Ein Ende ist nicht in Sicht, wenn man Demoskopen und Politikwissenschaftlern glauben will. Etwa dem bulgarischen Orbán-Kenner Ivan Krastev. Er sieht in dem ungarischen Premier einen Mann, der sich einst als „energiegeladener, skrupelloser und talentierter Politneuling in die Freiheit verliebte“, nur um sich später von der dunklen Seite der Macht verführen zu lassen. Davon aber werde Orbán nicht ablassen, ist Krastev überzeugt.

Tatsächlich ist der Begriff „Orbánismus“ längst zum Synonym für ein Mischsystem aus Demokratie und antiliberaler Autokratie geworden. Wie das funktioniert, zeigt sich in diesem Frühjahr der Corona-Pandemie geradezu idealtypisch. Es ist der 30. März, das Virus hat Europa fest im Griff, als Orbán, fast wie damals auf dem Heldenplatz, mit offenem Hemd und Spickzettel zu einer Rede ansetzt.

Diesmal spricht er aber nicht als Herausforderer, sondern als Regierungschef im Parlament, und dort ruft er der Opposition zu: „Wir werden diese Krise ohne Sie lösen.“ Kein Gesprächsangebot, nichts. Orbán lässt sich von der Zweidrittelmehrheit seines längst rechtsnational ausgerichteten Fidesz zum Regieren per Dekret ermächtigen. Unbefristet. Ohne parlamentarische Kontrolle.

In den folgenden Wochen hagelt es europaweit Kritik an dem ungarischen Notstandsregime. Von „Staatsstreich“ ist die Rede. Mitte Mai aber wendet Orbán das scharf geschmiedete Schwert taktisch klug gegen seine Gegner. Als sich zeigt, dass die Corona-Fallzahlen im Land gering bleiben, verkündet er den „Sieg über die Pandemie“. Nun könne er seine Vollmachten gern zurückgeben. Seine Kritiker fordert er auf, sich für die Putsch-Vorwürfe zu entschuldigen. Was aber bleibt von diesen zwei Monaten Alleinherrschaft, ist die Botschaft: Alle Macht in Ungarn geht von Orbán aus, wenn er das will.

Dass es ihm darum geht, hat der fünffache Vater nie verschleiert. Am 25. April 2010 steht er auf dem Budapester Vörösmarty-Platz, er hat einen überwältigenden Wahlsieg errungen – 52,7 Prozent der Stimmen und mehr als zwei Drittel der Sitze im Parlament. Es ist der Tag, an dem Orbán eine „nationale Revolution“ ankündigt.

Wie weit er dafür bereit ist zu gehen, irritiert selbst konservative Weggefährten im Westen, die in Orbán damals noch den Freiheitskämpfer von einst sehen. Denn der neue Premier geht so kompromisslos zu Werke wie 1989, als er die Sowjets zum Abzug aufforderte, nur diesmal mit anderer Stoßrichtung. Die erste große Aufregung entfacht er mit einem neuen Mediengesetz. Die Regierung bekommt direkten Zugriff auf alle staatlichen Sender, kontrolliert fortan aber auch private Medien. In der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit stürzt Ungarn in zehn Jahren vom 23. auf den 89. Platz ab. Dann beginnt die Fidesz-Regierung 2010 einen Frontalangriff auf den demokratischen Rechtsstaat. Die Partei ändert das Wahlrecht zu ihren Gunsten. Orbán lässt die Verfassung umschreiben. In dem neuen Grundgesetz von 2011 ist die Gewaltenteilung zwar nicht aufgehoben, aber die Befugnisse von Parlament und Justiz werden deutlich beschnitten. Die Macht ballt sich in der Regierungszentrale. Welches Ungarn er will, lässt er in die Präambel schreiben, die den Titel „Nationales Bekenntnis“ trägt.

Der Text beginnt mit dem Satz: „Wir sind stolz, dass unser König, der Heilige Stephan I., den ungarischen Staat vor tausend Jahren auf festen Fundamenten errichtete und unsere Heimat zu einem Bestandteil des christlichen Europas machte.“ Nationale Größe und Unabhängigkeit, Gott und Vaterland dominieren das Bekenntnis. Persönliche Freiheit und Menschenwürde sind nachgeordnet und werden zusammen mit Familie, Treue, Glaube und Liebe erwähnt. Nach seiner Wiederwahl 2014 erklärt Orbán: „Der neue Staat, den wir in Ungarn schaffen, ist ein illiberaler Staat.“
Bild entfernt (keine Rechte)
Um seine Anhänger zu mobilisieren, inszeniert Orbán regelmäßig Hetzkampagnen – gegen Roma, gegen Flüchtlinge, gegen zivile Aktivisten. Und gegen den liberalen US-Milliardär George Soros. 2017 unterstellte er dem in Ungarns Hauptstadt Budapest geborenen Investor Soros, einen Plan zu verfolgen, um Millionen Migranten in Europa anzusiedeln und die „nationale und christliche Identität“ der Völker Europas auszulöschen.

Wer einen Beleg für Orbáns Absichten braucht, muss nur auf die Flüchtlingskrise blicken. Er lässt die Situation bewusst eskalieren. Als im Sommer 2015 immer mehr Flüchtlinge auf der Suche nach Asyl über die Balkanroute nach Europa streben, wittert Orbán die Chance, als Schutzherr einer bedrohten Nation aufzutreten. Er lässt an der ungarischen Südgrenze Zäune aus Nato-Draht errichten und entsendet Soldaten. Und er sagt Sätze wie: „Wir möchten hier keine zahlenmäßig bedeutsamen Minderheiten haben, die sich von uns in ihren kulturellen Eigenschaften unterscheiden. Wir möchten Ungarn als Ungarn erhalten.“

Einer solidarischen Verteilung der Geflüchteten innerhalb der EU verweigert er sich im Schulterschluss mit anderen osteuropäischen Staaten. Er fordert vielmehr, dass Europa sich radikal abschotten müsse. Nicht er habe sich nach rechts bewegt, sondern der Westen – und allen voran Angela Merkel – verrate das Wesen Europas.

Nach dem Tod seines größten politischen Idols, des deutschen Altkanzlers Helmut Kohl, erklärt Orbán im Sommer 2017: „Nach dem Fall der Mauer glaubten wir hier in Mitteleuropa daran, dass Europa unsere Zukunft sei. Jetzt zeigt sich, dass wir die Zukunft Europas sind.“
Von Ulrich Krökel und Uli Bachmeier

Zu diesem Zeitpunkt hatten sich viele seiner konservativen Parteifreunde in der Europäischen Volkspartei EVP, zu der auch CDU und CSU gehören, längst von Orbán abgewendet. Ihr Ärger mit dem Ungarn hatte schon nach seiner Wiederwahl im Jahr 2010 begonnen. Seine Schritte in Richtung Autokratie hatten für schrittweise Entfremdung gesorgt. Zuletzt konnte Orbán im Westen nur noch auf den früheren CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer setzen. So wie Orbán in Europa, so war Seehofer in Deutschland der Hauptgegner der Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Merkel. Doch das war nur ein Aspekt ihrer Beziehung. Seehofer setzte auch darauf, den Kontakt nicht abreißen zu lassen, um Orbán im demokratischen Lager der Konservativen zu halten.

Er ließ sich gerne einladen, aber auch kaum bändigen: Orbán war andernorts in Europa längst Persona non grata, als Seehofer ihm 2014 einen Staatsempfang im repräsentativen Prinz-Carl-Palais in München bereitete. Im Jahr darauf, am Höhepunkt der Flüchtlingskrise, war er Ehrengast bei der Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion. Als Orbán 2016 zu einer 60-Jahr-Feier des Aufstands der Ungarn gegen die Sowjetunion in den Bayerischen Landtag kam, konnte er nur mit Mühe davon überzeugt werden, dass man in einem freien Land Journalisten nicht einfach aussperren kann. Und sogar 2018 lud ihn die CSU noch einmal ein, dieses Mal zur Klausur der CSU-Landesgruppe im Bundestag.

2019 aber war Schluss mit der Sonderbehandlung. Die EVP-Fraktion im Europäischen Parlament suspendierte die Mitgliedschaft der Orbán-Partei, nachdem der Ungar sich gegen den CSU-Mann Manfred Weber als EVP-Spitzenkandidat für das Amt des Präsidenten der EU-Kommission gestellt hatte. Der neue CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Markus Söder stellte die freundschaftlichen Kontakte ein und zog sich auf die Formel zurück, dass die besondere Freundschaft zwischen Bayern und dem ungarischen Volk fortbestehe. Bei seiner Balkanreise aber machte er einen großen Bogen um Budapest.

Und in Ungarn selbst? Dort ist der Mann zwar nicht bei allen, aber doch bei vielen beliebt. Auch wenn die Mehrheit der Bürger nach einer Umfrage des ungarischen Instituts Policy Solutions glaubt, dass es um die Demokratie im Land deutlich schlechter steht als noch vor zehn Jahren, dass sich Korruption und Ungleichheit verstärkt haben. Doch die Zufriedenheit speist sich daraus, dass Orbán als Verteidiger nationaler Werte gilt. Das hat auch mit einer verbreiteten Enttäuschung im Osten Europas über den Westen zu tun. Drei Jahrzehnte nach Ende des Kalten Krieges fühlt man sich dauerhaft als „Europäer zweiter Klasse“. Dem setzt Orbán seine nationale Rhetorik entgegen, die von Stolz, Würde und alter Größe kündet.

Innerhalb der EU hat der Störenfried sein Land zunehmend isoliert. Seit 2018 läuft ein Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn, weil dort systematisch die Gewaltenteilung ausgehebelt wird. Das kommt jedoch kaum voran, weil dafür ein Konsens unter allen Staaten nötig wäre. Polen und Ungarn schützen sich gegenseitig. Die Mitgliedschaft des Fidesz in der EVP ist suspendiert.

Warum der endgültige Bruch zwischen der EU und dem Orbán-Regime dennoch auf sich warten lässt? Das sei keine Frage des Machtopportunismus, sagt Ivan Krastev. Eher sei hier wie dort ein „seelisches Unbehagen“ zu spüren, dass das Erbe von 1989 endgültig verspielt werden könnte. Und es ist ja keine Frage: Es ist auch Orbáns Erbe.
VON ULRICH KRÖKEL
UND ULI BACHMEIER

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Peter
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