Es käme einer regelrechten Entmündigung und Brüskierung gleich – auch wenn anschließend der Weg für die Billigung des gesamten Paketes frei wäre. Doch die Schäden für die künftigen Beziehung wären wohl erheblich.
In den vergangenen Wochen haben die EU-Spitzen ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel als Vertreterin der deutschen Ratspräsidentschaft vergeblich versucht, Polen und Ungarn zu überzeugen. Die beiden Premiers Mateusz Morawiecki und Viktor Orbán seien „zu hoch auf den Baum geklettert, um in wenigen Tagen wieder herunterzukommen“, sagten Diplomaten. Und auch der slowenische Ministerpräsident Janez Jansa, dem Sympathien für den Widerstand der beiden Amtskollegen nachgesagt werden, zeigte keine Bereitschaft zum Kurswechsel.
Die EU-Kommission bereitet nun zwei mögliche Varianten vor, die darauf hinauslaufen, den Aufbaufonds ohne Polen und Ungarn, die somit auf Zuwendungen in Höhe von 23 beziehungsweise gut sechs Milliarden Euro verzichten müssten und leer ausgehen würden, zu realisieren. Favorit der Behörde von Präsidentin Ursula von der Leyen scheint nach einem Bericht der FAZ eine Anleihe der verbleibenden 24 Mitgliedstaaten zu sein, die durch gemeinsame Garantien abgesichert würde. Vorlage ist das Modell des europäischen Kurzarbeitergeldes „Sure“, das nach dem ersten Lockdown mit 100 Milliarden Euro installiert wurde. Warschau und Budapest könnten sich beteiligen, müssten dies aber nicht. Einen zweiten Weg bieten die europäischen Verträge an: Er nennt sich „verstärkte Zusammenarbeit“. Ein kleinerer Kreis von Ländern kann sich darauf verständigen, enger zusammenzuarbeiten. Dies soll beispielsweise bei der Finanztransaktionssteuer genutzt werden. Unklar bleibt allerdings, ob man dieses Werkzeug auch nutzen kann, um darauf einen Fonds mit gemeinsamen Schulden aufzusetzen.
Die Befürworter solcher Lösungen übersehen aber gerne, dass „selbst wenn Warschau und Budapest heute ihr Veto aufgeben würden, wir noch weit von einer Einigung über den Aufbaufonds entfernt sind“, wie der CSU-Europa-Abgeordnete und Finanzexperte seiner Fraktion, Markus Ferber, mahnte. Der Grund: Die Volksvertreter bestehen darauf, bei der Vergabe der 750 Milliarden Euro und bei der Ausgabenkontrolle mitzureden. „Die Mitgliedstaaten wollen maximale Freiheit beim Geldausgeben und das Parlament raushalten“, warnte Ferber am Freitag. „Wenn die EU sich aber mit 750 Milliarden Euro verschulden soll, braucht es eine parlamentarische Kontrolle.“ Die Gespräche darüber treten aber seit Wochen auf der Stelle.
Ein Durchbruch für den Aufbaufonds allein bringt wenig, solange nicht auch der 1,1 Billionen Euro schwere Haushaltsrahmen für die Jahre bis 2027 beschlossen werden kann. Während für den Aufbaufonds eine qualifizierte Mehrheit ausreicht, ist für den Etat Einstimmigkeit nötig, die Polen und Ungarn verweigern. Dabei würden sie unter den Folgen selbst massiv leiden. Ohne Billigung könnte die EU ab 1. Januar 2021 nur mit einem Nothaushalt leben. Statt der geplanten 166 Milliarden Euro für 2021 gäbe es dann nur 135 bis 140 Milliarden Euro. Von den notwendigen Kürzungen wären regionale Projekte und Strukturhilfen stark betroffen. Das sind ausgerechnet jene Etats, die Polen und Ungarn fest in ihren Haushalten eingeplant haben.
Von Detlef Drewes