Von Herbert Stiglmaier
Sie gelten als die Kellerkinder der deutschen Rebsorten. Kaum ein Weinkritiker bejubelt die Weine daraus, selten tauchen sie in den Lobpreisungen der Sommeliers am Tisch auf. Auf den Getränkekarten kommen sie meist gar nicht vor. Schade eigentlich, denn einige Winzer machen aus diesen Trauben richtig gute Weine. Und das zu kleinen Preisen. Eine Auswahl.
Müller-Thurgau
Das Image: Dünnes Wässerchen, nicht ganz trocken, Literware.
Die Realität: „Der Müller kann tragen wie ein Esel“ sagt man in Winzerkreisen und meint damit, dass diese Rebsorte hohe Erträge erbringen kann – auf Kosten der Qualität. In diese Falle sind die Weinbauern in den achtziger Jahren getappt, haben große Mengen an banalen Weinen produziert und den Ruf dieser feingliedrigen Rebsorte ruiniert. Erst die Initiative einiger ambitionierter fränkischer Winzer („Frank und Frei“), die sich zu einer Ertragsreduzierung und anderen qualitätssteigernden Maßnahmen verpflichteten, brachte den Müller-Thurgau zurück in die Spur. Weine aus dieser Traube mit feiner Muskatnote, die eher wenig Alkohol bildet, sind hervorragende Begleiter zu Blattsalaten, denn die feine Säure beißt sich nicht mit dem Dressing.
Empfehlung: Christian Stahl aus Auernhofen im fränkischen Taubertal gilt als „Müller-Thurgau-Rebell“, weil er mit seinen Weinen dafür kämpft, dass diese Rebsorte ein anderes Image bekommt. (2017 Tauberzeller Hasennest, www. dallmayr-versand.de, 12,50 Euro)
Scheurebe
Das Image: Pappiger Oma-Wein zur Schwarzwälder Kirschtorte am Nierentisch
Die Realität: Zwei Schicksalsschläge hat diese Rebsorte zu verkraften, die vor genau 103 Jahren von Georg Scheu aus Riesling und der Bukettrebe im hessischen Alzey gekreuzt wurde. Erstens war sie die Lieblingstraube des NSDAP-Bauernführers Richard Wagner, weshalb sie von 1930 bis 1945 „Wagnerrebe“ hieß. Danach bekam sie ihren alten Namen wieder und wurde so zur einzigen entnazifizierten Rebsorte der Welt. Mit ihrem Geschmacksbild nach Stachelbeere, Maracuja, schwarzer Johannisbeere und der feinen rassigen Säure ist sie nicht weit entfernt vom Global Player „Sauvignon blanc“, der gerade eine große Konjunktur in Deutschland erlebt und die „Scheu“ an die Wand drängt. Beide Trauben zählen zu den sogenannten „Aromasorten“, deren Charme sich bereits beim ersten Schluck in der Nase und am Gaumen entfaltet.
Die Empfehlung: Dass die lagerungsfähige Scheurebe mehr kann als die übermächtige Konkurrenz „Sauvignon blanc“, beweist seit Jahren das fränkische VDP-Weingut Wirsching aus Iphofen mit seiner Palette an Weinen aus dieser Rebsorte, die von trocken – perfekt zu Ziegenkäse und Asia-Gerichten – bis edelsüß reicht – zu Desserts mit Fruchtsäure, etwa aus der Orange. (2017 Iphöfer Scheurebe trocken, 9,80 Euro, 2016 Iphöfer Kronsberg Scheurebe Beerenauslese edelsüß, 0,375 l, 48 Euro,
www.wirsching.de)
Gutedel
Das Image: Zechwein für Säure-Verächter, einzige Lösung zum Käsefondue. Statt Gutedel seine anderen Namen Chasselas oder Fendant zu sagen, macht mehr Eindruck.
Die Realität: Alte Kultursorte. Genau 1131 Hektar sind in Deutschland (gesamt: 102 600) mit Gutedel bestockt, davon befinden sich 1104 im Anbaugebiet Baden. Eigentlich ein schönes Beispiel für eine Rebsorte, die fest mit einer Region verbunden ist – wie Trollinger in Württemberg oder Elbling an der Obermosel. Im badischen Markgräflerland befindet sich das Epizentrum für diese Rebsorte, die Weine mit Noten nach Mandeln und weißen Blüten hervorbringt. War mal ein Selbstläufer, als der Tourismus im Schwarzwald noch geboomt hat.
Die Empfehlung: Gutedel kann viel mehr, wenn er so gefördert wird wie von Hanspeter Ziereisen: Im Fass lässt er ihn liegen – 22 Monate lang, spontan vergoren. In einer Blindprobe würde man ihn wohl mit dem Adelstitel für große Tropfen als „burgundisch“ beschreiben. Dass seine durchwegs trockenen Gutedel mit auffallend niedrigen Alkoholwerten weiland von der Weinkontrolle als „nicht gebietstypisch“ abgelehnt wurden, kümmert ihn nicht. Seither schreibt er „Badischer Landwein“ auf die Flasche. (2016 Steingrüble unfiltriert Gutedel,
www.ziereisen.de, 12,80 Euro)
Schwarzriesling
Das Image: „Schon mal gehört. Wusste gar nicht, dass Riesling schwarz ist.“
Die Realität: Diese Rebsorte ist weder schwarz noch Riesling, sondern vielmehr rot und mit dem Burgunder verwandt. Unter ihrem Namen kennt sie niemand, dabei spielt sie als Pinot Meunier eine große Rolle in der Herstellung von Champagner. Diesen Zusammenstand hat noch kein Marketingfachmann ausgerufen, deshalb führt der Schwarzriesling ein Schattendasein. Den Beinamen „Müllerrebe“ trägt sie, weil ihre Blätter aussehen, als wenn sie mit Mehl bestäubt wären. Reinsortig wird der Schwarzriesling vor allem in Württemberg und im Taubertal ausgebaut. Die Weine daraus sind leichter verständlich als ein komplexer Spätburgunder und beeindrucken durch Anklänge an Sauerkirschen und Brombeeren.
Die Empfehlung: „Badisch Sibirien“ nennt man die Gegend um Reicholzheim im Taubertal, in der Konrad Schlör seine Reben stehen hat. Mit Franken, Württemberg und Baden bilden gleich drei Anbaugebiete einen skurrilen Flickenteppich. Wenn ein Winzer für eine Rebsorte in Deutschland steht, dann ist es Konrad Schlör für Schwarzriesling. Über die Champagner-Geschichte lächelt Schlör: „Ja, den können sie, aber einen gescheiten Wein schaffen sie nicht daraus.“ Er schon. (2016 Schwarzriesling VDP Ortswein,
www.weingut-schloer.de, 12 Euro)
Portugieser
Das Image: Gibt’s den noch? Der schaut so dünn aus.
Die Realität: Massenträger, der hohe Erträge garantiert – und dann auch schwache Weine. Ein Fruchtzwerg mit Pflaumenaroma und wenig roter Farbe. Trotz aller Misshandlungen immer noch die Nummer drei im roten Rebsortenspiegel, bezogen auf die Anbaufläche mit 2956 Hektar. Erlebt gerade eine zarte Renaissance in Rheinhessen, an der Ahr und in der Pfalz. Verschwindet gerne im Rosé.
Die Empfehlung: Der junge VDP-Winzer Benedikt Baltes, der eigentlich von der Ahr kommt, hat vor einigen Jahren das Weingut der Stadt Klingenberg im fränkischen Mainviereck gekauft. Ein dreiviertel Hektar Portugieser war auch dabei. Baltes liebt Spätburgunder und hat seine Portugieser-Rebstöcke trotzdem nicht herausgerissen: „Das Wichtigste sind alte Reben und der exakt richtige Lesezeitpunkt“, sagt er. „Wenn man zu früh liest, wird er banal, wenn man zu spät dran ist, wird er überreif. Dieses Zeitfenster ist mit wenigen Tagen extrem eng.“ Baltes macht mit seiner „Reserve“ auch den besten und teuersten – die Flasche kostet 39 Euro – Portugieser in Deutschland . (2016 Klingenberger Portugieser, 12,80 Euro,
www.weingut-benedikt-baltes.de)
Tauberschwarz
Image: Fehlanzeige.
Die Realität: Nach einem sehr kalten Winter im Jahr 1985 entdeckte man zwischen den erfrorenen Rebstöcken im Taubertal eine kleine Parzelle in bestem Zustand, der der Frost nichts anhaben konnte. Nach einer ampelografischen Prüfung stand fest, dass es sich um die praktisch ausgestorbene Rebsorte Tauberschwarz handelte, die schon im 16. Jahrhundert erstmals erwähnt wurde. Im letzten Augenblick konnte die Staatliche Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg den Tauberschwarz durch züchterische Auslese retten. Mittlerweile gibt es wieder 15 Hektar davon. Einfach ist diese Rebsorte nicht, denn die Beeren verfärben sich ungleichmäßig und müssen oft aussortiert werden. Mittlerweile wurde sie von „Slow Food“ in die „Arche des Geschmacks“ aufgenommen.
Empfehlung: Jürgen Hofmann aus Röttingen hat sich von Anfang an dem Tauberschwarz verschrieben. Nicht gleich mit Erfolg: „Am Anfang haben wir nur rote Weine gemacht, aber keinen Rotwein.“ Inzwischen hat es der fränkische Winzer mit dieser Rebsorte bis in die Sternegastronomie geschafft – mit Weinen, die mit ihrer floralen Würzigkeit an einen Barolo aus dem Piemont erinnern. (2016 Tauberschwarz Röttinger Feuerstein trocken,
www.geisels-weingalerie.de, 13 Euro