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Eine neue Bleibe für leidende Tiere

in Allgemeine Tierhaltung 15.02.2020 17:20
von Peterbacsi • Admin | 3.590 Beiträge

Eine neue Bleibe für leidende Tiere
Skandal Kühe, die zu wenig Futter haben. Kälber, die im Dreck stehen: In schwerwiegenden Fällen verlieren Landwirte ihre Rinder. Andere Bauern geben sie freiwillig ab. Und dann? Über einen Gnadenhof, auf dem kranke Tiere Platz finden, und einen bayernweit einzigartigen Stall


David zuckt kurz in seiner Box zusammen, als die Tür sich öffnet. Seit ein paar Monaten ist er allein in dem Stallabteil, das für ihn hergerichtet wurde. Damals, als das drei Wochen alte Kälbchen auf den Gnadenhof von Eveline Treischl kam, war es in einem erbarmungswürdigen Zustand. Es musste über Infusionen ernährt werden, die Körpertemperatur war ständig zu niedrig, die Lunge wurde nicht richtig beatmet, dazu die beiden verkrüppelten Vorderbeine. David, sagt Treischl, war ihre größte Herausforderung. Eines Abends musste sie sogar den Tierarzt überreden, ihn nicht einzuschläfern. Am nächsten Tag dann hob David den Kopf. Eveline Treischl schaut ihn an und sagt: „Er wollte einfach leben.“

Jetzt steht die 50-Jährige vor der Box, David streckt den Kopf zu ihr hinüber, kuschelt sich an ihre Wange. Sie berichtet von den nervenaufreibenden Monaten. Von der Vorrichtung, die sie mit Helfern gebaut hat, um Davids Vorderbeine auszurichten. Vom Moment, als er zum ersten Mal aufstand. Und davon, dass man noch immer das Röcheln seiner Lunge hört. David wagt sich noch ein bisschen weiter nach vorne, schleckt ihr über die Finger. Treischl lächelt. „Wir sind wirklich ganz dicke Freunde geworden.“

David ist eines von 28 Kälbern, das von einem Milchviehbetrieb aus Bad Grönenbach stammt, der wegen Tierschutzverstößen in die Schlagzeilen geraten war – vom dritten der insgesamt drei Skandalbetriebe im Ort. Kontrolleure hatten dort kranke Kälber gefunden, die zum Teil keinen Zugang zu Futter und Wasser hatten. Der Bauer räumte später ein, aussortierte Kälber preisgünstig von anderen Landwirten gekauft zu haben. Die Kosten für Behandlungen der kranken Tiere habe er aber nicht mehr stemmen können.

Die Milchviehhaltung hat er inzwischen aufgegeben, doch er brauchte einen Platz für die kranken Kälber. „Der Landwirt hat uns um Hilfe gebeten“, erzählt Treischl. Sechs der Kälber leben jetzt auf der „Zickenfarm“, die sie mit einem Verein nahe Bad Grönenbach führt: Alles Tiere, die nicht transportfähig waren und intensiv behandelt werden mussten, die Kälbergrippe hatten, Durchfall oder andere Krankheiten. Wie Anna und Labelle, die Kälbchen mit den Nabelproblemen; Alaina und Benno, die Zwillinge, die eine kranke Lunge haben und immer noch sehr klein sind; Paulina, die Schwarz-Weiße, die ruhig in der Ecke liegt. Die restlichen Tiere wurden auf Pflegestellen im Raum Augsburg und in Hessen verteilt, finanziert zum Teil vom Tierschutzverein „Schazi“, von Spenden und Patenschaften, die Vereine oder Privatleute übernehmen. Etwa 120 Euro sind im Monat nötig, um ein Tier zu versorgen, erklärt Treischl. Bei David, dem fast fünf Monate alten Kalb mit den verkrüppelten Beinen, reichte das bei Weitem nicht, um die Tierarztkosten zu decken.

Treischl führt hinüber zum Stall, in dem die fünf anderen Kälber liegen. Helfer haben ihn mit Holzplatten isoliert, elektrische Heizkörper liefern Wärme. Zwei Mal am Tag misten die beiden Mitarbeitern hier aus, verteilen frisches Sägemehl und Stroh in den Boxen. Für Treischl, die 130 Ziegen, außerdem Schafe und Pferde auf der Farm hält, sind ihre Tiere ein Vollzeitjob. „Das Problem ist doch, dass die Landwirte das nicht leisten können, sich rund um die Uhr um kranke Kälber zu kümmern.“ Vorwürfe macht sie den Bauern im Ort nicht – auch, weil sie von manchen Heu und Sägemehl bekommt, weil andere ihren Mist wegfahren. „Ich glaube auch nicht, dass das schlechte Menschen sind. Es ist doch das System, das nicht in Ordnung ist“, sagt Treischl. Sie hat selbst schon Zeiten erlebt, in denen sie überfordert war – ihren früheren Tierschutzhof in Barnstein (Ostallgäu) musste sie nach mehreren Problemen aufgeben.

In Bad Grönenbach ist der Landwirt, der in Schwierigkeiten war, direkt auf Eveline Treischl zugegangen. Im Kreis Landsberg geht man einen anderen Weg: Der Landkreis hat seit 2014 in Penzing einen Stall gepachtet, in dem Rinder untergebracht werden können. Vernachlässigte Tiere, die nach schwerwiegenden Tierschutzverstößen dem Landwirt weggenommen werden. Oder solche, die nach einem Stallbrand anderswo unterkommen müssen. Geführt wird der Stall von einem ausgebildeten Landwirt, der mittlerweile viel Erfahrung im Umgang mit erheblich vernachlässigten Tieren hat. „In diesem Fall braucht jedes Tier eine Einzelbetreuung. Und da tut es auch nicht jedem gut, wenn man jedem 20 Kilo Mais hinwirft“, erklärt Michael Veith, Leiter des Veterinäramts am Landratsamt.

Veith nennt es ein „Tierheim für Nutztiere“, entstanden aus der Not heraus, weil es sonst oft keine Möglichkeit gab, vernachlässigte Tiere aus einem Betrieb zu nehmen. Manchmal steht der Stall in Penzing wochenlang leer, manchmal sind die 80 Plätze voll belegt. Derzeit sind dort 44 Tiere von einem Landwirt aus dem nördlichen Landkreis untergebracht. Mehrmals hatte ihn das Veterinäramt aufgefordert, die Missstände auf seinem Hof zu beheben. Ein Teil der Kühe war unterernährt, der Boden im Stall verdreckt, die Klauenpflege vernachlässigt. Im Dezember zog das Veterinäramt die Notbremse und ließ 44 von 78 Rindern abholen.

Das Landsberger Modell dürfte bayernweit einmalig sein – auch, weil sich Ende 2019 neun andere Landkreise angeschlossen haben, unter anderem Aichach-Friedberg und Dachau. Gemeinsam teilt man sich die Stallmiete (1600 Euro im Monat, anteilig nach der Tierzahl), alle weiteren Kosten muss der Landwirt tragen, der die Verstöße begangen hat. Die Rinder bleiben so lange in Penzing, bis die Veterinäre mit der Situation in seinem Stall zufrieden sind. Andernfalls werden die Rinder verkauft.

Die Kälber, die Eveline Treischl in Bad Grönenbach aufgenommen hat, „die dürfen einfach nur leben, die müssen nie wieder Milch geben“. So wie die Ziegen und Schafe auf ihrer „Zickenfarm“, die aus Missständen kommen, die alt sind, herzkrank oder nur auf drei Beinen laufen. Den Begriff „Gnadenhof“ mag Treischl ohnehin nicht. „Wir sind ein Lebenshof. Es ist keine Gnade, dass ein Tier leben darf.“
Von Sonja Dürr


Liebe Grüße
Peter
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